Menümobile menu

„Hier angekommen“

privatDr. Dominique Gillebeert war 2015 Migrationsbeauftragte der Stadt Ingelheim.

Viele wollten helfen. Zum Glück war Ingelheim am Rhein gut vorbereitet. Die Stadt verfügte bereits über ein Integrationskonzept und konnte die Strukturen ad hoc hochfahren. Ein Interview mit Dr. Dominique Gillebeert von der Stabsstelle für Vielfalt und Chancengleichheit der Stadtverwaltung Ingelheim am Rhein.

Wie wurden die Geflüchteten in der Stadt aufgenommen?

Die Stimmung war sehr positiv. Wenn die Züge ankamen, standen auch am Bahnhof in Ingelheim teilweise Menschen mit Plakaten und hießen die Geflüchteten willkommen. Wir haben sofort eine Hotline eingerichtet und mehrere Infoabende angeboten. Aus der Bevölkerung kamen enorm viele Anrufe. Viele wollten helfen und wissen, was sie tun können. Wichtig ist, die Ehrenamtlichen gut zu begleiten. Sie sollten begrenzte Aufga­ben übernehmen, um sich nicht selbst zu überfordern. Wer Lust hatte, konnte zum Beispiel die Menschen bei der Arbeitssu­che unterstützen, mit ihnen Bewerbungen schreiben oder Deutsch üben, Kindern bei den Hausaufgaben helfen oder Familien das Ankommen in der Stadt erleichtern, ihnen Spielplätze zeigen und die Türen zu Vereinen öffnen. Wir haben die Ehrenamtlichen dafür ausgebildet und uns regelmäßig mit ihnen getroffen.

Wie gut war Ingelheim am Rhein vorbe­reitet?

Wir waren in der glücklichen Lage, dass wir bereits auf Strukturen zurückgreifen konn­ten. Die Stadt hatte schon ein paar Jahre vorher eine Stabsstelle für Migration und Integration eingerichtet – und mit großer Beteiligung ein Integrationskonzept für die Kommune erarbeitet. Dazu gehörte, dass wir bereits Ehrenamtliche schulten und über einen Pool an freiwilligen Gemeinde­dolmetscher*innen verfügten. Die Strukturen konnten wir ad hoc hochfahren und waren so viel besser vorbereitet.

Wie wurden die Geflüchteten in der Stadt untergebracht?

Unser Ziel war es, die Menschen möglichst dezentral unterzubringen. Dafür haben wir als Stadt eigenen Wohnraum angemietet. Komplett kamen wir damit jedoch nicht hin, so dass wir noch Container aufstellen mussten. Für Schulen und Kitas war es eine große Herausforderung, viele Kinder mitten im Schuljahr aufzunehmen, die kein Deutsch konnten. Doch zum Glück hat es sich gut verteilt, da die Familien in Wohnungen in der ganzen Stadt lebten.

Welche Erfahrung hat Sie besonders geprägt?

Mich hat sehr berührt, dass viele geflüchtete Menschen in mein Büro kamen und frag­ten: „Warum dürfen wir nicht arbeiten? Wir wollen niemanden auf der Tasche liegen.“ Vor allem viele junge Männer. Während des Asyl­verfahrens galt für viele ein Arbeitsverbot und sie bekamen keine Integrationssprach­kurse bezahlt. Bei Menschen aus Syrien ging es oft schneller, doch unter anderem Geflüchtete aus Afghanistan mussten teil­weise über eineinhalb Jahre warten. Sie haben sehr unter der großen Unsicherheit gelitten. Bürger*innen aus Ingelheim ha­ben Spenden gesammelt, so dass wir über die vhs Sprachkurse anbieten konnten für diejenigen, die nicht an Integrationskursen teilnehmen durften. Mit ihrer Unterstützung konnten sich viele Geflüchtete doch noch durchwurschteln, haben so Deutsch gelernt und – mit Höhen und Tiefen – ihren Weg gemacht. Zwischendurch haben einige fast aufgegeben, weil ihnen die Kraft fehlte, aber letztlich doch weitergemacht. Das ist eine gigantische Leistung.

Wie prägen Menschen, die 2015 kamen, heute die Stadtgesellschaft?

Es gibt viele Erfolgsgeschichten. Viele Men­schen sprechen längst gut Deutsch, haben ihre Ausbildung abgeschlossen und eine Arbeit gefunden. Ihre Familien sind nach-gezogen oder sie haben in Deutschland eine Familie gegründet. Ihre Kinder gehen hier in die Kitas und Schulen. Nicht bei allen hat es geklappt. Aber ganz, ganz viele sind – mehr oder weniger gradlinig – ihren Weg gegangen. Und hier angekommen. Sie haben Freunde gefunden, sind in Vereinen aktiv. Sie sind Teil der Ingelheimer Stadtgesellschaft.

Diese Seite:Download PDFDrucken

to top