„In Freiheit und Sicherheit“
Sohail Hussain aus Pakistan lebt mit Frau und Tochter in Bad Homburg. Als Krankenpfleger wird er in Deutschland dringend gebraucht.
Drei Nachtdienste im Krankenhaus hat Sohail Hussain hinter sich. So kann er mittags seine zwei Jahre alte Tochter in der Krippe in Bad Homburg abholen. „Ich bin so froh, mit ihr Zeit zu verbringen“, sagt der 34-Jährige. Mal geht er nachmittags mit ihr in den Zoo, mal auf den Spielplatz. Seine Frau ist beim Sprachkurs. „Sie lernt sehr fleißig“, berichtet Sohail Hussain. Ihr Ziel ist, eine Ausbildung zur Pflegekraft im Krankenhaus zu machen, so wie ihr Mann. „Durch die Nachtdienste kann ich sie unterstützen.“ Mit seiner Tochter spricht er fast nur deutsch. Das Mädchen lernt gerade sprechen, ihre ersten Worte: Wasser – super – trinken – Danke. „Ich will, dass sie später mal eine selbstbewusste, unabhängige Frau wird“, betont der Vater.
Jeden Tag sagt er zu seiner Frau: „Ich bin so dankbar!“ Und: „Wir können uns so glücklich schätzen.“ Wenn er zum Nachtdienst geht, kann er seine Frau und seine Tochter alleine zu Hause lassen. Ohne Angst. Auf den Straßen ist es sicher. Und als Gesundheits- und Krankenpfleger verdient er genug Geld, um in Bad Homburg eine schöne Wohnung mit Terrasse zu mieten. Davon träumte er damals in Pakistan: „Mit meiner Familie in Freiheit und Sicherheit zu leben.“ In Hangu, einer Stadt im Grenzgebiet zu Afghanistan, tragen viele Frauen eine Burka, verlassen kaum das Haus. Überall seien Taliban, berichtet Sohail Hussain. Weil er offen seine Meinung sagte, fürchtete er, in ihr Visier zu geraten. Zudem komme es immer wieder zu Kämpfen in der Region. „Es ist sehr, sehr unsicher.“
„So froh, dass es weitergeht.“
Deshalb beschloss der junge Mann, nach Europa zu fliehen. Zu Fuß lief er über die Berge, bezahlte Schlepper, um in Lastwagen mitfahren zu können. Seine Route führte über den Iran, die Türkei und Bulgarien. Dort wäre er mit 40 anderen Flüchtlingen in einem Kühllaster fast erstickt. Sie merkten, dass sie keine Luft bekamen und klopften verzweifelt an die Fahrerkabine, aber nichts passierte. Irgendwann stoppte der Lastwagen. „Die Polizei hat das Fahrzeug angehalten, wir waren so froh“, berichtet Sohail Hussain. „Besser im Gefängnis als tot.“
Im Herbst 2015 kam der junge Mann mit dem Bus in Passau an. „Wir hatten großen Hunger.“ Die Leute hätten sie herzlich will kommen geheißen und Essen mitgebracht. „So viel Schokolade.“ Diese Stimmung werde er nie vergessen. „Alle waren sehr, sehr nett zu uns. Das hat mich unheimlich berührt.“ Über eine Flüchtlingsunterkunft in Mannheim ging es weiter nach Frankfurt und dann nach Taunusstein. Dort bekam Sohail Hussain ein Feldbett in einer Sporthalle. Jemand erzählte ihm, dass kostenlose Deutschkurse in einer Kirche angeboten werden. Er sei immer früh aufgestanden, um ganz pünktlich dort zu sein. „Ich war einfach so froh, dass es weitergeht.“ Der Sprachkurs habe ihm Hoffnung gegeben, berichtet der 34-Jährige. Und dort lernte er Herrn Schilling kennen, einen pensionierten Schuldirektor.
Er half ihm, eine Ausbildung als Zahntechniker zu finden. Kurz vor Ende der Probezeit bekam Sohail Hussain einen Abschiebescheid, dagegen klagte er zwar, doch sein Chef – „sehr lieb und nett“ – kündigte ihn. Um Geld zu verdienen, arbeitete der junge Mann als Putzkraft in einem Krankenhaus in Wiesbaden. Dadurch kam er auf die Idee, sich für eine Ausbildung zum Gesundheits-und Krankenpfleger zu bewerben. Leider war sein Deutsch noch nicht gut genug, um die B2-Sprachprüfung zu bestehen – und er bekam eine Absage.
Doch beim Klinikum in Bad Schwalbach reichte offiziell B1-Niveau. Ob er damit allerdings wirklich den Aufnahmetest für die Ausbildung bestehe, werde sich zeigen, sagte die Schulleitung, sonst klappe es sicher im zweiten Anlauf. In jeder freien Minute lernte Sohail Hussain mit Videos auf Youtube, arbeitete außerdem als Nebenjob in einem Pflegeheim. „Ich habe fast nie frei gehabt“, berichtet er. Dafür kam ihm zugute, dass er viel mit den dementen Menschen redete. Und Deutsch übte. „Das hat mit uns gut gepasst.“ Er bestand die Aufnahmeprüfung – und erhielt eine Duldung bis zum Ende der Ausbildung.
Nichts für schwache Nerven
Zu zweit teilte er sich ein Zimmer in einer Sozialwohnung in der Nähe von Taunusstein. Irgendwann bekam er von der Ausländerbehörde die Nachricht: Da er eigenes Geld verdiente, müsse er 3.400 Euro an Miete zurückzahlen. „Das war ein Schock“, sagt Sohail Hussain, „auch wenn ich es verstehen kann.“ In Raten zahlte er den Betrag acht Jahre lang zurück. Damals fragte ihn Herr Schilling, ob er bei ihm einziehen möchte. Der ältere Herr lebte alleine in einem Haus, Sohail Hussain bekam ein eigenes Zimmer. „Dieses Vertrauen hat mich so tief berührt“, betont der junge Mann. „Solange ich lebe, werde ich ihm das nie vergessen.“ Herr Schilling kannte ihn ja gar nicht richtig. „Und hat mich einfach in sein Haus aufgenommen.“
„Er hat mich in sein Haus aufgenommen. Das werde ich ihm nie vergessen.“
Oft frühstückten die beiden Männer zusammen. Er habe von dem ehemaligen Schuldirektor viel gelernt, sagt Sohail Hussain. Ja, die Sprache. Aber auch, anderen Menschen zu vertrauen und zu helfen. Als die Coronapandemie ausbrach, zog er sofort aus. Kurz vor Ende der Ausbildung arbeitete er damals in der Notaufnahme, mit direktem Kontakt zu Coronapatienten. „Ich wollte ihn auf keinen Fall anstecken“, betont er. Die Frau im Rathaus half ihm, wieder in der Sozialwohnung unterzukommen. „Ich habe so viele nette Leute in Deutschland kennengelernt.“
Nach seiner Ausbildung zog er nach Wiesbaden und wurde als Krankenpfleger in der Horst-Schmidt-Klinik angestellt. Mit der festen Arbeitsstelle erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis. Als er seine Eltern zu Hause besuchte, lernte er in seinem Heimatort seine Frau kennen. Sie heirateten, seine Tochter kam in Pakistan auf die Welt. Erst nach einem Jahr durften seine Frau und sein Kind zu ihm nach Deutschland kommen. „Ich bin so froh, dass sie bei mir sind.“ Und nach zehn Jahren hat er jetzt endlich auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Dafür musste er neben seiner regulären Arbeit im Krankenhaus noch eine C1-Sprachprüfung ablegen. Mitunter war er sehr gefrustet von der Bürokratie, musste zig Mails schreiben, immer wieder fehlte ein Dokument. „Mit schwachen Nerven hätte ich vielleicht aufgegeben.“
Besonders wichtig ist ihm, dass er jetzt wählen darf. Die politische Entwicklung in Deutschland bereitet ihm Sorgen. Auch wenn er sich mit dem deutschen Pass recht sicher fühle, beruhige ihn der Gedanke: „Wenn es hart auf hart kommt, können wir jederzeit woandershin gehen“, sagt der Familienvater. „Mit meiner Qualifikation bekomme ich überall einen Job.“ Aber er will gar nicht weg, er ist sehr glücklich in Deutschland. „Ich bin immer sehr fleißig gewesen, zahle meine Steuern.“ Im Krankenhaus komme die Mehrheit der neuen Pflegekräfte aus dem Ausland, alleine in seinem Team aus Madagaskar, Mexiko, Indien, Marokko und Syrien. „Ich bin sehr, sehr dankbar, dass Deutschland uns so aufgenommen hat“, sagt Sohail Hussain. „Aber das Land braucht uns auch.“
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