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„Zusammenhalt massiv gestärkt“

privatEhrenamtlich in der Flüchtlingshilfe aktiv: Okka Senst

Im Hunsrück haben die Menschen die Flüchtlingsarbeit als gemeinsame Aufgabe angenommen. Dadurch hat sich auch ihr Leben verändert – und die Gesellschaft. Ein Interview mit Okka Senst, die 2014 die Syrienhilfe Vorderhunsrück e.V. mitgründete und jetzt das Café International in Büchenbeuren koordiniert.

Wie kamst du damals dazu, in der Flücht­lingshilfe aktiv zu werden?

Mit Blick auf den Krieg in Syrien kamen bei uns in der Region ein paar sozial und poli­tisch engagierte Leute zu dem Schluss: Da müssen wir doch irgendwie helfen. Vor allem ging es uns darum, die Menschen in Syrien und in den Flüchtlingslagern zu unterstüt­zen. Deshalb gründeten wir 2014 die Syrien­hilfe Vorderhunsrück e.V. Dass auch Men­schen zu uns flüchten, war damals fast noch hypothetisch. Langsam ging es dann los, zunächst noch ganz still. Erst im Laufe des Jahres wurde uns bewusst, dass noch sehr viel mehr Menschen kommen werden.

Wie habt ihr konkret geholfen?

Im ländlichen Raum gab es damals noch leer stehende Häuser, die von der Kommune für Geflüchtete angemietet wurden. Dort wur­den die Menschen häufig einfach abgesetzt und fast nicht betreut. Es gab wenig profes­sionelle Strukturen, kaum Unterstützung. Also haben wir es einfach gemacht.

Was habt ihr genau gemacht?

Wenn wir mitbekamen, dass bei uns in der Nähe neue Geflüchtete ankamen, sind wir dorthin gefahren und haben Infoabende veranstaltet. Dabei haben wir erklärt, was wir selbst vorher nicht wussten: Dass die Menschen weitgehend sich selbst überlas­sen bleiben – und dringend Unterstützung brauchen. Sie kamen ja buchstäblich nur mit Flipflops und Plastiktüten. In vielen Dörfern gründeten sich Initiativen. In Büchenbeuren haben wir das Café International aufgebaut. Es entwickelte sich zum Hotspot für die Flüchtlingsarbeit im Hunsrück. In der Nähe gab es eine Erstaufnahmeeinrichtung und Zeltunterkünfte mit insgesamt über 1000 Menschen – und alle brauchten Unterstüt­zung. Sie kamen zu Fuß zu uns ins Café. Es war total voll bei uns, aber wir konnten ihnen zumindest Kaffee, Kekse und erste Kontakte anbieten.

Wie habt ihr die Menschen vor Ort kon­kret unterstützt?

Wir haben uns Stück für Stück eingearbei­tet, von der Anmeldung in der Schule oder Kita bis zur Unterstützung im Asylverfahren. Manchmal bin ich pro Woche hunderte Kilo­meter gefahren, um Menschen in den Unter­künften zu begleiten oder zum Deutschkurs in einem anderen Ort zu bringen. Wir haben ihnen auch Fahrräder gebracht, damit sie mobil sind. Und Möbel. Die Liegenschaften waren teilweise seit Jahrzehnten nicht reno­viert worden, da sollten zwei fremde Männer nebeneinander im alten Ehebett schlafen. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass deut­sche Behörden Menschen so unterbringen.

Was hat diese Arbeit mit euch gemacht?

Die Arbeit hat den Zusammenhalt massiv gestärkt. Viele Menschen haben die Flücht­lingsarbeit als gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe angenommen. Dadurch entstand ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl, das viele vorher so nie erlebt haben. Jetzt lernten wir plötzlich ganz viele neue Leute kennen, Freundschaften entstanden. Diese Erfahrung hat unser Leben sehr bereichert. Und viele Menschen politisiert.

Was ist geblieben?

Die ehrenamtliche Arbeit ist in landesweite Strukturen übergegangen. Ich habe zuerst hauptamtlich Geflüchtete im Asylverfahren beraten und später, als sich der Flüchtlings­rat Rheinland-Pfalz e.V. gründete, die Leitung des Ehrenamtsprojekts – heute civi kune RLP – übernommen. Allerdings bin ich doch enttäuscht, wie schlecht die Situation in eini­gen Orten immer noch ist. Ja, es gibt positive Beispiele: Kommunen haben Stellen ein­gerichtet, für die Beratung von Flüchtlingen und die Koordination der Ehrenamtlichen, haben Integrationskonzepte entwickelt und Integrationsbeauftragte angestellt. Aber in manchen Landkreisen ist wenig passiert. Es ist völlig vom guten Willen der Politik abhän­gig, ob die Flüchtlingsarbeit als Aufgabe vor Ort angenommen wird – oder nicht.

Und bei euch in Büchenbeuren?

Bei uns im Café International hat sich viel entwickelt. Wir haben viele Angebote für alle Generationen. Bei uns muss niemand einsam sein. Ohne die Geflüchteten würde es das Café nicht geben, weil wir gar nicht auf die Idee gekommen wären. Wenn neue Familien in der kommunalen Flüchtlings­unterkunft in Büchenbeuren ankommen, sind wir immer noch die erste Anlaufstelle für Beratung und Unterstützung. Wir sind aber kein Flüchtlingscafé mehr, sondern ein Begegnungstreff für alle. Das Café stärkt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

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